‐ Persönlicher Erfahrungsbericht eines Mentors und seine Empfehlungen ‐
Prof. Wolfhard Semmler - September 2017
Für alle Studierenden stellt sich spätestens am Ende des Studiums, das mit dem Diplom oder dem Master abgeschlossen wird, die Frage, ob eine weitere Qualifikation, nämlich die Promotion, angeschlossen werden soll oder nicht.
Es sei noch einmal betont, dass mit dem Diplom oder dem Master bzw. einem anderen gleichwertigen Abschluss, das Hochschulstudium beendet ist und nicht, wie oft fälschlicherweise angenommen wird, mit der Promotion. Die Promotion ist ein „add‐on“ und der Studierende muss sich fragen, ob es für seinen ganz persönlichen beruflichen Werdegang richtig und notwendig ist, weitere drei ‐ bisweilen auch bis zu fünf Jahre ‐ an der Universität/Hochschule zu verbringen. Immer wieder wurde ich in meiner langjährigen Laufbahn von Studierenden diesbezüglich um Rat gefragt. Klar, wenn man das wenig fremdbestimmte und freie Arbeiten an einer Universität oder Forschungseinrichtung während des Studiums und der Abschlussarbeit kennengelernt hat, ist die Promotion eine attraktive Option, in diesem Umfeld weiterzuarbeiten.
Wenn die Diplomanden(innen) bzw. Masterstudierenden diese Option wählen wollen, dann sollten sie sich im Vorfeld über einige Fragen klarwerden. Aus meiner Erfahrung ist es dabei äußerst wichtig, die Motivation der Studierenden genausten zu hinterfragen.
- Ist für die Studierenden wissenschaftliches Arbeiten wirklich Neigung? Hat er/sie Interesse, Spaß und Freude an dieser Arbeit, aber auch die notwendige Geduld und das Durchhaltevermögen?
- Wird diese Option nur gewählt, weil die Umstände günstig sind und einem gerade Promotionsthema angeboten wird bzw. eine Doktorandenstelle besetzt werden kann?
- Kann es sein, dass lediglich der Titel eine Rolle spielt?
Diese Fragen müssen sich natürlich die Studierenden zuerst selbst stellen und sich ohne Bias ehrlich und vor allem objektiv beantworten. Das dürfte meist schwerfallen, deshalb ist es ratsam, diese mit erfahrenen Vertrauenspersonen zu diskutieren, damit der/die Studierende auch über die eigenen Fähigkeiten und die Zukunftsplanung Klarheit gewinnt und auf dieser Basis eine Entscheidung treffen kann.
In diesem Zusammenhang muss sich der/die Studierende auch überlegen, welches das eigentliche Berufsziel sein soll und eruieren, ob dafür eine Promotion überhaupt notwendig oder zumindest doch förderlich ist.
Wird eine wissenschaftliche Karriere angestrebt, dann ist die Promotion alternativlos, weil sie notwendige Voraussetzung für eine Hochschullaufbahn ist. In allen anderen Berufen ist eine Promotion nicht unbedingt notwendig, kann aber durchaus von Vorteil sein.
Welche Vorteile hat eine Promotion z.B. in der Wirtschaft? Ist es nur der Titel als Aushängeschild oder erwartet der einstellende Betrieb bzw. die einstellende Institution nicht auch andere Qualifikationen von einem(er) Promovierten? Welche Qualifikationen sind es und können diese überhaupt durch eine Promotion erworben werden??
Welche Qualifikationen die einstellenden Betriebe und Institutionen erwarten, dürfte sehr unterschiedlich sein, da es u.a. eine Bank oder ein Versicherungsunternehmen sein können, der öffentliche Dienst oder auch ein Industriebetrieb mit und ohne Forschungsabteilung. Hier einen einheitlichen Anforderungskatalog anzugeben, dürfte kaum möglich sein.
Welche zusätzlichen Qualifikationen eine Promotion vermittelt, gleich in welchem Fach, lässt sich dagegen relativ einfach umreißen. Kurz gesagt, ist die abgeschlossene Promotion der Nachweis, dass der/die Promovierte zum selbständigen wissenschaftlichen Arbeiten befähigt und in der Lage ist, neue Erkenntnisse zu erarbeiten. Wobei die Befähigung (das Rüstzeug) für das wissenschaftliche Arbeiten unter Anleitung von Mentoren im Diplom‐ bzw. Masterstudium vorher erworben werden muss. Aus dieser Definition geht - wie oben schon erwähnt ‐ hervor, dass die Promotion in erster Linie ein notwendiger Schritt zu einer Hochschulkarriere bzw. einer Karriere in der Forschung ist.
Die Anfertigung einer Dissertation gibt den Promovenden die Möglichkeit, eigene Forschungsarbeit zu verfolgen; dabei müssen i. A. folgende Punkte abgearbeitet werden:
Daraus folgt ‐ und es kann nicht eindringlich genug betont werden ‐, dass diese Arbeiten aktiv vom Promovierenden vorangetrieben werden müssen ohne dass die Mentoren (Doktorvater/‐mutter; Betreuer) aktiv eingreifen. Diese Zurückhaltung bei den Mentoren sollte sich auch auf Aktivitäten im Umfeld beziehen. So ist es gar nicht wünschenswert, dass den Promovenden verbindlich vorgeschrieben wird, welche ergänzenden Kurse, Vorlesungen etc. besucht werden sollen. Der/die Promovend/in muss selbst entscheiden, ob und in welchem Maße er/sie auch Nachbarfelder und andere Disziplinen in Betracht zieht und sich in diesen Forschungsfeldern weiterbildet und wie weit er/sie über den Tellerrand schauen möchte. Dabei müssen auch die Grenzen selbst erkannt und gesetzt werden, wo es zu weit führen und man sich verzetteln würde. Selbstverständlich wird er/sie an den wissenschaftlichen Institutsveranstaltungen aktiv teilnehmen und vor allem auch die eigenen Ergebnisse im Rahmen von Gruppen‐ und Abteilungsseminaren vortragen und diese auch regelmäßig im informellen Rahmen mit den Betreuern und anderen Gruppenmitgliedern eingehend diskutieren und sich Rat einholen.
Im begrenzten Rahmen wird er/sie auch Aufgaben in der Selbstverwaltung, sowie Tutorien und Praktikumsbetreuung übernehmen. Es wird im Allgemeinen auch so sein, dass Doktoranden unter Aufsicht des Mentors Studien‐ und Bachelorarbeiten betreuen und im fortgeschritten Stadium der Promotion auch Diplom‐ oder Masterarbeiten. Es ist dem Promovenden dabei unbenommen, sich Rat bei seinen Mentoren oder erfahrenen Wissenschaftlern zu holen, um in Erfahrung zu bringen, welche Wissensfelder und „Nebenaufgaben“ für Promotion und Weiterbildung relevant sind.
Allesamt sind dies Einflussgrößen auf die Promotionsleistung und die Leistung bei der Verteidigung. Am Ende legt diese Leistung Zeugnis davon ab, ob der/die Promovend/in sich das notwendige Wissen für die Durchführung der Dissertation angeeignet hat und vor allem, ob er/sie die Kompetenz besitzt, eigenständig ein Forschungsprojekt zu definieren, zu planen, durchzuführen und erfolgreich zu Ende zu bringen und zudem geeignet ist, zu wissenschaftlichem Arbeiten anzuleiten. Dieser Leistungsnachweis beinhaltet auch, ob der Wissenshorizont so erweitert wurde, dass die Resultate und Erkenntnisse im interdisziplinären Umfeld richtig eingeordnet und auf Augenhöhe mit anderen Wissenschaftlern diskutiert werden können.
Es wird also am Ende bei der Beurteilung der Promotionsleistung nicht nur die wissenschaftliche Leistung in Betracht gezogen, sondern auch die Forscherpersönlichkeit bewertet. Aus dem Gesagten ergibt sich zwangsläufig, dass ein/e Promovend/in, der/die nicht alle Kriterien – eben auch die persönlichen Eigenschaften betreffenden – erfüllt, keinen Abschluss mit einem Prädikat bekommen kann (also: summa bzw. magna cum laude).
Sollte sich bereits im Laufe des Forschungsprojekts herauskristallisieren, dass nicht alle Kriterien von dem/der Aspiranten/in erfüllt werden können oder auch der/die Promovend/in sich überfordert fühlt, sollten die Mentoren und der/die Promovierende zu jedem Zeitpunkt einen Diskurs beginnen, und feststellen, ob die Arbeiten fortgeführt werden können oder doch gemeinsam eine andere Perspektive für den/die Doktoranden/in erarbeitet werden sollte. Das sollte stets unter Hinzuziehung weiterer erfahrender Mentoren, die nicht unmittelbare Betreuer sind, geschehen.
Zum Schluss soll noch einmal die anfangs gestellte Frage, warum auch außerhalb
der wissenschaftlichen Laufbahn eine Promotion von Vorteil sein kann, aufgenommen werden. Die Industrie und andere Institutionen schätzen vor allem die Selbst‐ und Eigenständigkeit, die mit der erfolgreichen Durchführung des Promotionsvorhabens nachgewiesen wird, insbesondere aber auch die sogenannten „
soft skills“, die sich der/die Promovierte im Laufe der Anfertigung seiner/ihrer Dissertation aneignet hat. Es sind – mit Ausnahmen ‐ weniger die wissenschaftlichen Inhalte und Forschungsergebnisse einer Promotion, die für solche Institutionen von Interesse sind, sondern die persönlichkeitsbildenden Faktoren. Eine eigenständige, mit analytischen Fähigkeiten und problemorientierten Lösungskompetenzen ausgestattete Persönlichkeit ist nicht nur für eine wissenschaftliche Karriere wichtig, sondern eben auch eine Voraussetzung für Führungspositionen in der Industrie und in anderen Institutionen.
Um die Berufschancen für Promovierte, insbesondere auch in den nichtwissenschaftlichen Berufen zu erhalten, ist die hier beschriebene Promotion mit einem ganzheitlichen Ansatz, bei der Wert auf die Selbständigkeit gelegt und jegliche „Verschulung“ abgelehnt wird, aus meiner Sicht unverzichtbar.
*) Der Begriff entstammt der Stellungnahme der Leopoldina, der acatech und der Union deutescher Akademien der Wissenschaften „Promotion im Umbruch“ Juli 2017