Medizinphysik-Blog

Normenausschuss Radiologie (NAR)

von Frank Hensley, Hans-Michael Kramer, Bernd Seidel

Nachruf der Autoren: "Leider sind einer der Verfasser, Prof. Hans-Michael Kramer und Prof. Dietrich Harder, einer der prägendsten Mitarbeiter des NAR, Ende 2018 und Anfang 2019 verstorben. Als zurückgebliebene möchten wir beiden für Jahre der Freundschaft, der begeisternden Zusammenarbeit und für die Mithifle bei diesem Text danken"

Es mag dem einen oder anderen aufgefallen sein, dass in Deutschland die Dosimetrie etwas anders läuft als in anderen Ländern: wo andere zur Konversion des Messsignals ihrer Ionisationskammer den Formalismus und die Korrektionsfaktoren in Dosimetrieprotokollen wie dem TRS 398 oder einem nationalen Protokoll wie dem AAPM TG61 oder den englischen IMPBE-Empfehlungen nachschlagen, richtet man in sich Deutschland nach DIN-Normen. Während Dosimetrieprotokolle von den nationalen Fachgesellschaften der Medizinischen Physik oder von internationalen Organisationen wie der IAEA verfasst werden, übernimmt in Deutschland diese Aufgabe ein Gremium des Deutschen Instituts für Normung e.V. (DIN), nämlich der Normenausschuss Radiologie (NAR). Dabei geht der Aufgabenbereich des NAR erheblich über den der Dosimetrie hinaus: praktisch alle Regeln, die man täglich in der klinischen Qualitätssicherung verwendet und die zur Festlegung der minimal einzuhaltenden Qualitätsanforderungen an unsere Geräte und Prozeduren dienen, werden durch Normen abgedeckt. Um dies zu verstehen, muss man ein wenig in der Geschichte stöbern:

Gründung/Beauftragung des NAR durch Röntgengesellschaft:

Die „Normenstelle der Deutschen Röntgengesellschaft in Zusammenarbeit mit dem“ (heute NAR) wurde im Jahre 1927 auf Beschluss des Deutschen Röntgenkongress durch die Deutsche Röntgengesellschaft (DRG) gegründet mit dem Ziel, die Normung voranzutreiben und Standards für Gerätesicherheit und die Anwendung ionisierender Strahlung in der Medizin zu definieren. Das geschah also lange vor der Gründung der DGMP im Jahr 1969 und auch lange bevor es den Beruf Medizinphysiker überhaupt gab. Bei der damaligen Gründung der DGMP blieb der Aufgabenbereich des NAR aber praktisch unverändert.

Das geht auf eine Kooperation zwischen der DGMP und dem NAR seit dem DGMP-Gründungsjahr 1969 zurück. Da die Erarbeitung von Empfehlungen für Strahlentherapie und Röntgendiagnostik einschließlich der damit verbundenen Terminologie durch den NAR ein eingespieltes Verfahren war, erschien eine Umverteilung der Aufgaben nicht sinnvoll: Gesetzgeber, Aufsichtsbehörden und Sachverständige hatten sich daran gewöhnt, sich in ihren Regelungen auf DIN-Normen zu beziehen. Deshalb wurde diese Verfahrensweise beibehalten und dann auch in den deutschen Dosimetrieprotokollen angewandt.

Wie arbeitet der NAR:

Der NAR ist der für die Normungsarbeit auf dem Gebiet der Radiologie zuständige Normenausschuss im DIN Deutsches Institut für Normung e.V. Der Tätigkeitsbereich umfasst die Erzeugung und Anwendung ionisierender Strahlung und kernphysikalischer Verfahren zu medizinischen und biologischen Zwecken, die ergänzenden Methoden sowie den Strahlenschutz, wozu auch die Gebiete diagnostische Radiologie, Strahlentherapie und Nuklearmedizin gehören. Er ist ein gemeinsames Gremium innerhalb des DIN (Deutsches Institut für Normung www.din.de ) und mit der Aufgabe betraut, Normenprojekte für die Radiologie zu initiieren, zu bearbeiten und zu verabschieden. Die Fachgesellschaften - DRG (Deutsche Röntgengesellschaft, www.drg.de ) DGMP, Deutsche Gesellschaft für Radioonkologie e.V. (DEGRO) und Deutsche Gesellschaft für Nuklearmedizin (DGN) werden über den Beirat an der Normungsarbeit beteiligt. Der NAR setzt sich zusammen aus Vertretern der Interessengruppen an den Normen. Dies sind jeweils zu etwa einem Drittel Vertreter aus Klinik und Krankenhaus, aus Industrie und Handel sowie von Behörden (Aufsichtsbehörden!) und Sachverständigenorganisationen.

Die fachspezifische Normungsarbeit erfolgt in Arbeitsausschüssen zu den Themen

Im DIN gibt es insgesamt 69 Normenausschüsse für die unterschiedlichsten Themen, hauptsächlich aus Technik und Medizin, jeder mit einer Reihe von Arbeitsausschüssen. Mehr Informationen unter: https://www.din.de/de/mitwirken/normenausschuesse .) Jeder Arbeitsausschuss tagt in der Regel mindestens zweimal im Jahr, um die laufenden Normenprojekte zu bearbeiten und Beschlüsse zu den Projekten zu fassen (z.B. den Normentwurf eines Arbeitskreises anzunehmen). Ein Arbeitsausschuss beauftragt jeweils einen Arbeitskreis (AK) mit der Bearbeitung eines bestimmten Projektes. Die Aufgabe der AKs ist dann in der Regel, ein Manuskript zur Veröffentlichung als DIN- Norm vorzulegen. Deshalb sind auch die AK-Federführenden Mitglieder des Arbeitsausschusses.

Internationale Normung

Eine wichtige Aufgabe des NAR ist auch die internationale Normung, d.h. die Abstimmung und Koordination der deutschen Normen mit internationalen Normen. Viele internationale Normen müssen aufgrund von internationalen Normungsvereinbarungen abgestimmt oder auch durch EU-Recht übernommen werden. Vor Übernahme findet dann immer eine Übersetzung/ Überarbeitung durch einen AK des NAR und die Annahme durch Beschluss des Arbeitsausschusses statt. Der NAR vertritt dabei als sogenanntes „Spiegelgremium“ die deutschen Interessen und organisiert die Übernahme internationaler und Europäischer Normen auf dem Gebiet der Radiologie in das deutsche Normenwerk.

Internationale Normung

Internationale Normungsgremien, mit denen die Arbeit koordiniert werden muss sind z.B.:

● IEC/TC 62/SC 62 B „Systeme für die diagnostische Bildgebung",

●IEC/TC 62/SC 62 C „Einrichtungen für Strahlentherapie, Nuklearmedizin und Dosimetrie"

● und ISO/TC 85/SC 2 „Strahlenschutz".

Des Weiteren bestehen intensive Kontakte

● zu CENELEC/TC 62 „Elektrische Geräte in medizinischer Anwendung",

● zu IEC/SC 45 B „Strahlenschutz-Instrumentierung"

● sowie zu ISO/TC 42/WG 3 „Sensitometrie, Bildauswertung und -betrachtung".

Der NAR vertritt als Spiegelgremium die deutschen Interessen und organisiert die Übernahme von internationalen und Europäischen Normen zur Radiologie in das deutsche Normenwerk. Hierzu werden vom NAR auch deutsche Delegierte in die internationalen Komitees und deutsche Experten in die internationalen Arbeitsgruppen entsandt.

Wie wird der NAR gewählt, wie setzt er sich zusammen

Nachdem die erste Normenstelle im Jahre 1927 durch den Röntgenkongress eingesetzt wurde, wählt der NAR seine Mitglieder selbst durch Wahl in den jeweiligen Arbeitsausschüssen. Interessenvertreter können die Aufnahme in den NAR beantragen, über die Aufnahme entscheidet dann wieder die Wahl bei einer Sitzung. Der NAR ist sich dabei der Risiken, die mit einem sich selbst wählenden und kontrollierenden Gremium verbunden sind (etwa Interessenkonflike), durchaus bewusst. Aus eigener Erfahrung können die Autoren berichten, dass die Diskussionen durchweg ein hohes fachliches Niveau aufweisen und von der Sache getragen sind (mal abgesehen von dem gelegentlich vielleicht auch mal geführten Streit um des 'Kaisers Bart'). Am Ende werden eigentlich immer gute Kompromisse gefunden, die von allen Beteiligten getragen werden und die nicht selten auch neue Erkenntnisse zu Tage fördern.

Kann man bei der Entwicklung von Normen mitarbeiten?

Ja, unbedingt. Der NAR freut sich über jede Unterstützung und insbesondere Mitarbeit aus den Reihen der (jungen) Medizinphysiker. Wer im NAR und bei der Normung mitarbeiten möchte, hat dazu eine ganze Reihe von Möglichkeiten:

Die einfachste ist, neue Normentwürfe (und auch bestehende Normen) zu lesen und zu kommentieren. Neue Normen erscheinen zunächst immer als Normentwürfe. Ab der Veröffentlichung läuft ein halbjähriges Einspruchsverfahren, während dem jeder die Möglichkeit hat, Kommentare, Verbesserungen, Fehler usw. an den Normenausschuss zu melden. Dazu gibt es ein Einspruchsformular, das man sich vom DIN Norm-Entwurfs-Portal https://www.din.de/de/mitwirken/entwuerfe herunterladen bzw. von der Geschäftsstelle des NAR oder auch von dem jeweiligen Obmann des zuständigen Arbeitsausschusses erhalten kann. Sonst kann man einen Brief oder eine Mail an den NAR oder ein Mitglied schicken. Die Einsprüche werden in einer Einspruchssitzung diskutiert, zu der jeder Verfasser eines Einspruchs eingeladen wird und in der im Zuge von Kompromissfindungen die endgültige Form der Norm dann schließlich erarbeitet wird.

Generell sollte jeder Medizinphysiker die Empfehlungen der Normen kennen und auch kritisch hinterfragen: Sind die Empfehlungen auch in der eigenen Klinik umsetzbar und erfüllen sie ihren Zweck? Wo sollten sie verbessert werden? Auch im eigenen Interesse sollte man die Physik hinter den Normen gründlich verstehen, das ist zumindest eine Voraussetzung, um als Medizinphysiker seiner Verantwortung – vor den Patienten, dem Arbeitgeber und auch vor sich selbst - gerecht zu werden. Als Experte muss man ja ständig überlegen, was man so oder auch besser machen sollte. Und wo es erforderlich ist, sollte man an der Verbesserung der Methoden arbeiten und dazu auch Vorschläge zur Verbesserung beim NAR einreichen. Dazu kann man einen Arbeitskreis-Mitarbeiter ansprechen oder auch über die NAR-Homepage eine Email an die Geschäftsführerin des NAR schicken : https://www.din.de/de/mitwirken/normenausschuesse/nar/ueber-nar-65388 .

Wer sich in einem Thema gut auskennt, kann auch in einem AK mitarbeiten: normalerweise wird man dazu durch den Federführenden eines Arbeitskreises eingeladen, man kann aber auch selbst beim Federführenden Interesse anzeigen.

Normen des NAR

Übrigens : ein Verzeichnis aller Normen des NAR gibt es unter dem Link :

https://www.din.de/de/mitwirken/normenausschuesse/nar/normen und eine Liste als Download auf der Homepage des NAR : https://www.din.de/de/mitwirken/normenausschuesse/nar .

Die aktuellen Norm-Entwürfe findet man unter : https://www.din.de/de/mitwirken/normenausschuesse/nar/entwuerfe .